Original:
ARTbie:
Der Seufzer
Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.
Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein -
und er sank - und ward nimmer gesehen.
(Christian Morgenstern)
Der Seufzer und der Sonnenstrahl
Der Seufzer und der Sonnenstrahl
trafen sich auf dem Eise
sie tanzten dort und neckten sich
auf ihre eigne Weise.
Da klagt der Seufzer ihm sein Leid
er sei doch so allein
der Sonnenstrahl war frohgemut:
ich nehme dir die Pein.
Will wärmen dich mit meinem Licht
dass dir wird warm ums Herz
vorbei sein soll die Einsamkeit
lch lindre deinen Schmerz.
Da stimmt der Seufzer fröhlich zu
er solle doch beginnen
dann schmilzt das Eis, er fällt hinein
ganz glücklich, wie von Sinnen.
Das ästhetische Wiesel
Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wißt ihr
weshalb?
Das Mondkalb
verriet es mir
im Stillen:
Das raffinierte Tier
tat's um des Reimes willen.
(Christian Morgenstern)
Das flexible Wiesel
Am Colorado, auf nem Kiesel
saß das Morgensternsche Wiesel
kein Bachgeriesel, sondern Toben
es braucht nen andren Reim hier oben.
Gruselett
Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.
(Christian Morgenstern)
Hommage an Gruselett
Da wo der Flüglflagl gaustert
dort möcht ich gerne sein
und sehen, wie die Fingur plausert
wie ich mir denk: im Mondenschein.
Ich würd so gerne wandern
durchs Wiruwaruwolz
und denk, es ist kein Zufall
dass es sich reimt auf Holz.
Den Golz mal wirklich treffen
beim Gutzen zuzusehn
und dann erst zu entscheiden
obs grausig anzusehen.
Das wären meine Freunde
ich tät sie täglich sehn
und mit größter Freude
in ihre Welt mitgehn.
Das Nasobem
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobem,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobem.
(Christian Morgenstern)
Das Nasobem verreist
Das Nasobem entschied spontan:
ich reise nach Berlin,
da ist was los, das ists voll cool
und übrigens: bin ich schwul.
Mein Kind, das lass ich schön zu Hause,
es schritt auf seinen Nasen los,
trank, angekommen, ne Faßbrause
und amüsierte sich famos,
Traf dort zufällig Herrn Bolle,
der hatte seinen Sohn verlorn,
kriegten sich kurz noch in die Wolle
und reiste wieder ab, voll Zorn.
Morgensonne
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich “Euer Gnaden”.
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.
(Joachim Ringelnatz